Alfredo Häberli

A.Haberli_(I&I)_WhiteTableDer Designer Alfredo Häberli wurde 1964 in Buenos Aires, Argentinien, geboren. Nach seinem Abschluss in Industriedesign gründete er 1993 sein eigenes Designstudio in Zürich. Seitdem arbeitet er für namhafte Unternehmen wie Alias, Camper, Cappellini, Classicon, Iittala, Moroso und Thonet. Seine Arbeiten wurden weltweit in zahlreichen Ausstellungen präsentiert und prämiert.
 
”Man kann schon durch Proportionen, Nähte, Farben, durch Funktionen und Aufteilung zu einem ganz neuen Blick auf Taschen kommen.”

Alfredo Häberli über die colin’s-Kollektion „by my side”

(ein Interview von Markus Frenzl)

Markus Frenzl: Herr Häberli, welche Entwurfsidee steckt hinter der Taschenkollektion „by my side”?

Alfredo Häberli: Zwei bis drei Tage in der Woche reise ich in Europa umher und habe eine Tasche dabei, in der sich sowohl Arbeitsmaterial, Präsentationen und Booklets, aber gleichzeitig auch Socken, Unterwäsche, ein Paar Hosen, Schuhe und ein Hemd für den Tag danach befinden. Ich wollte einer solchen Tasche ein moderneres Bild geben: nicht die Aussage „das ist eine Arbeitstasche“ oder „das ist eine Reisetasche“, sondern einfach „das ist eine Tasche“. Sie sollte keine Assoziationen auslösen wie etwa ein Trolley, eine Laptoptasche oder ein Aktenkoffer, bei denen klar definiert ist, wofür sie stehen. Das läge mir nicht. Ich wollte etwas Frischeres entwerfen. Gleichzeitig sollte es eine Tasche sein, die einen beschützt und mit der man immer einen Kumpel an seiner Seite hat. Es war mir ein Anliegen, dass jeder, der im Sitzungszimmer, im Gespräch oder danach im Hotel eine der Taschen an seiner Seite hat, eine klare Ordnung halten kann: Hier ist Büro, dort ist Kleidung. Schließlich möchte ich nicht, dass die Socken herausfallen, wenn ich die Tasche in einem Businessmeeting öffne. Jedes Fach kann deshalb mehrere Funktionen übernehmen. Das wollte ich zwar nicht überinstrumentalisieren, aber durch meine Erfahrung beim Reisen und Fliegen konnte ich das mit einfachen und traditionellen Mitteln sehr gut umsetzen.

Markus Frenzl: Welche funktionale oder symbolische Rolle spielen die farbigen Nähte und das farbige Innenleben der Taschen?

Alfredo Häberli: Mich stören die großen Beschriftungen auf vielen Taschen und Koffern. Taschen mit auffälligen Marken oder Labels sind ja sehr in Mode. Wenn ich damit aber zu einem Kunden komme, den ich noch nicht kenne, bin ich durch so ein auffälliges Label quasi von vornherein „gebrandet“. Deshalb habe ich die Beschriftung nach Innen verlegt. Außen übernehmen die farbigen Nähte die Aufgabe des Brandings. Es sind funktionale Nähte, die ein Abbild davon liefern, was im Innenleben der Tasche stattfindet. Die farbigen Nähte sind ein grafisches Spiel, das beim Betrachter sofort Fragen auslöst: Was ist das für eine Marke, was ist das für eine Tasche? – Die kontrastfarbenen Nähte vermitteln sofort ein Bild; ich kenne das von meinen Entwürfen für Polstermöbel. Sie geben jeder Tasche des knappen Dutzends verschiedener Modelle ihre Besonderheit. Jede ist von Außen zunächst ganz traditionell schwarz, im Inneren aber extrem farbig: Die Bordüre ist beispielsweise rot oder der Futterstoff cyan. Das ist wie das Innenfutter einer Jacke, das man eigentlich nicht sieht, durch das aber ein Stück Persönlichkeit zum Vorschein kommt. Das hat von Außen ein gewisses Understatement, ist aber von Innen allein meine Welt, die nur ich sehe und die nur mir gehört.

Markus Frenzl: Die Taschen sind von Außen zwar nicht gebrandet, die sichtbaren Nähte sind aber dennoch eine Art subtiles Logo, fast wie bei Martin Margiela.

Alfredo Häberli: Genau. Dadurch, dass sich das Branding zurücknimmt, wird es erst recht zum Gesprächsthema. Die Leute fragen danach, weil sie die Marke nicht kennen und die Entwürfe auch wegen der farbigen Nähte besonders interessant finden.

Markus Frenzl: Sind die ausgewählten Farben Ihre persönlichen Lieblingsfarben? Türkis etwa ist ja ein recht spezieller Farbton, mit dem sich nicht jeder anfreunden kann wie beispielsweise mit einem Blauton.

Alfredo Häberli: Ich wollte für das Innenleben, das man nicht sofort sieht, ein richtiges Statement abgeben. Das fängt bei der Naht mit einem Augenzwinkern an und wird im Inneren richtig radikal, das gefiel mir gut. Ich habe für die Entwürfe der Kollektion nach neuen Typologien und neuen Formverhältnissen gesucht: Jede Tasche versucht über die Proportionen – etwa über eine betont horizontale Linie oder eine vertikale Ausrichtung – ein neues Bild zu vermitteln. Dabei spielt auch der Handgriff eine wichtige Rolle, der wenig an Traditionen anknüpft, sondern sehr grafisch ist.

Markus Frenzl: Haben sich die Entwürfe in der Zusammenarbeit mit colin‘s verändert oder sind sie für die Fertigung so geblieben wie anfangs von Ihnen entworfen?

Alfredo Häberli: Sie sind weitgehend so geblieben, wie ich sie entworfen hatte. Ich bin ein großer Taschensammler und habe mir viele Taschen genau angeschaut, beispielsweise welche Henkelform am schönsten ist. Viele meiner gesammelten Taschen decken nur ein einziges meiner Bedürfnisse ab. Bei der „by my side“-Kollektion wollte ich deshalb viele unterschiedliche Bedürfnisse zusammenbringen. Gleichzeitig war von vornherein klar, dass sich eine kleine Firma wie colin’s keine großen Investitionen in spezielle Werkzeuge für die Herstellung erlauben kann. Aber ich habe schnell gemerkt, dass die Beibehaltung der traditionellen Art der Taschenherstellung eine besondere Herausforderung darstellt.. Man kann schon durch die Proportionen, die Nähte, die Farben, durch die Funktionen und die Aufteilung zu einem ganz neuen Blick auf Taschen kommen.

Markus Frenzl: Die Taschenentwürfe spiegeln stark Ihre persönlichen Anforderungen. Haben Sie beobachtet, wie andere Leute mit den Taschen umgehen?

Alfredo Häberli: Viele meiner Mitarbeiter besitzen Taschen aus der Kollektion und geben mir ein Feedback, ob und wie die Entwürfe funktionieren. Und natürlich erhalten wir auch durch den Verkauf ein gewisses Feedback. Die erste Kollektion wurde deshalb noch modifiziert und um einige Teile ergänzt. Sie war schon recht stark auf meine Bedürfnisse zugeschnitten, beispielsweise auf meine Körpergröße. Manche Taschen waren zunächst etwas zu groß und haben an kleinen Personen nicht ganz so gut ausgesehen. Auch daran habe ich gemerkt, dass die Kollektion ein ganz persönlicher Entwurf ist.

Lesetipp: die Entstehungsgeschichte der Kollektion “by my side”.