Jörg Gätjens

27-3Jörg Gätjens wurde 1965 in Duisburg geboren. Nach seinem Industriedesign-Studium arbeitete er von 1997 bis 2002 bei der Möbelschmiede Nils Holger Moormann in Aschau. 2002 gründete er sein eigenes Designbüro in Köln. Seit dieser Zeit arbeitet er erfolgreich für verschiedene Firmen im Accessoires- und Möbelbereich. Seine Produkte wurden mehrfach ausgezeichnet.

„Etwas Neues zu machen heißt meist auch, viele vermeintliche und bekannte Notwendigkeiten infrage zu stellen und in den Wind zu schlagen.“

 

Jörg Gätjens über die colin’s-Kollektion „microbag”

(ein Interview mit Colin Schulz)

Colin Schulz: Herr Gätjens, welche Entwurfsidee steckt hinter der Taschenserie „microbag”?

Jörg Gätjens: Nachdem wir uns lange an einem ganz anderen Entwurf „festgehakt“ hatten, entstand erlösenderweise irgendwann das Bild des alten „Turnbeutels“. Eine so reduzierte Tasche, dass Beutel eigentlich eher zutrifft – sprich: Neustart!. Die zunehmende Beschäftigung mit diesem Thema und dem für mich sehr interessanten Formstrick-Verfahren, ließ dann irgendwann aber einen anderen Aspekt in den Vordergrund treten: Bekleidung!

Colin Schulz: Welche gestalterische und funktionale Rolle spielt die Anwendung des Formstrick-Verfahrens? Was verbirgt sich dahinter, und wie kam es zu dieser doch eher ungewöhnlichen Verwendung?

Jörg Gätjens: Formstricken wird im Möbel- oder Bekleidungsbereich seit längerer Zeit angewendet. Aus diesem Bereich stammt auch die Ideenübertragung. Es bedeutet, dass eine 3-dimensionale „Hülle“ wie ein Strumpf in einem Stück gestrickt werden kann – ganz ohne Zuschnitte, Nähte oder Verklebungen. Das zu strickende Teil fällt komplett und ohne weitere Verarbeitungsschritte fertig aus der Maschine. Die Form existiert eigentlich nur als Strickprogramm und entsteht unter Verwendung und Kombination verschiedener Garne. Schon eine faszinierende Vorstellung und vor allem völlig verschnitt – und abfallfrei!
Möglichkeiten aber auch Einschränkungen dieser Technik bestimmten dann auch zu großen Teilen Konzept und Formgebung. Es war schnell klar, dass wir bei diesem Verfahren auf keinen Fall zusätzlich nähen, nieten oder kleben wollten. Es gab irgendwann auch eine klare Teilung: Strick für den „Taschenkorpus“, Leder für Gurt und zusätzliche Elemente. Weiterhin war klar, dass diese Elemente nur angefügt sein sollten, also mittels einer schnell lösbaren Verbindung addiert. Dies bedeutete für die Tasche: kein Reißverschluss sondern ein Überschlag – dieser sollte zudem kurz sein und offen stehen bleiben, wenn der Tasche etwas entnommen wird. Ein stabilisierender „Rahmen“ außen, der die Form garantierte, ein Elastikanteil bei dem verwendeten Garn, um die Tasche im Mittelbereich dehnbar zu machen, angestrickte Laschen, um hier den Gurt, das Label und die Innentasche einhängen zu können. Es war von Beginn an ein Spiel mit den Möglichkeiten des Verfahrens – aber auch mit Einschränkungen. Ein Volumen wie normalerweise von Taschen bekannt lässt sich nicht oder nur mittels weiterer Verfahren erzeugen. Die Tasche ist auch nicht 100 % wasserdicht.

Colin Schulz: Dies ist das erste colin´s-Projekt, in dem das Material Leder eine untergeordnete Rolle spielt. Wie wurde diese Idee bei colin´s angenommen?

Jörg Gätjens: Mein Eindruck war, dass diese Idee auf fruchtbaren Boden gefallen, eher noch forciert wurde, um neben der handwerklichen Tradition und sicher vorhandenen Perfektion dem Aspekt der Innovation in der Kollektion stärkeres Gewicht zu verleihen. Und das Augenmerk mal auf den Gurt gerichtet: So untergeordnet ist das Material dann auch wieder nicht – es sind schon schöne Details …

Colin Schulz: Sind die ausgewählten Farben Ihre persönlichen Lieblingsfarben?

Jörg Gätjens: Teilweise ja, teilweise wurden sie aber auch ausgewählt, da sie am besten mit unterschiedlichen Kleidungsstilen/Garderoben harmonisieren. Da es sich prinzipiell ja immer nur um ein Garn und somit eine Garnfarbe handelt, die verarbeitet wird, ist die mögliche Farbpalette immens groß und bedarf der Einschränkung, um die Varianten im Hinblick auf die Lagerhaltung nicht ausufern zu lassen.

Colin Schulz: Die Taschen sind optisch eher reduziert und under-styled. Tun sich diese Art von Produkte nicht unheimlich schwer Beachtung zu finden? Der Markt ist doch überfüllt mit auffallend grellen und unübersehbaren Taschen.

Jörg Gätjens: Stimmt – aber eben das, so das Kalkül, würde dann ja wieder in diesem Markt auffallen … Im Ernst, es ist schon so, dass dem Segment der Taschen kaum noch etwas hinzuzufügen ist. Und „under-styled“, naja, dafür harmonisiert die Tasche prima mit wechselnden Outfits, drängt sich nicht in den Vordergrund und bietet auch demjenigen, der nicht Rad fährt, Student ist und oder Outdoor-Kleidung bevorzugt eine Möglichkeit, die Dinge, die man so bei sich trägt, stilvoll zu transportieren. Ich sehe die Tasche eher unter einem Mode-/Couture-Aspekt als unter rein funktionalen Gesichtspunkten … somit auch der Gedanke an ein weiteres Kleidungsstück als tatsächlich an eine Tasche im herkömmlichen Sinn. Die microbag sollte ja gerade nicht alles gut können. Etwas Neues zu machen heißt meist, auch viele vermeintliche und bekannte Notwendigkeiten infrage zu stellen und in den Wind zu schlagen.

Colin Schulz: Haben sich die Entwürfe in der Zusammenarbeit mit colin´s verändert und haben Sie fertigungstechnisch Kompromisse eingehen müssen?

Jörg Gätjens: Wenn man unseren Startpunkt bedenkt – ja, da hat sich eigentlich alles komplett verändert, um nicht zu sagen, wir haben in der Mitte neu begonnen … Auch während des microbag-Prozesses gab es Phasen der Ratlosigkeit. Großen Anteil an der Entstehung hatte aber auch die Formstrick-Firma, ohne deren tatkräftige Unterstützung das Projekt nie Gestalt angenommen hätte! Und Kompromisse; ja sicherlich. So haben wir sehr lange mit uns gerungen ein Innenfutter einzunähen, um die Tasche wasserdicht zu machen. Irgendwann war mir dann klar, dass dies dem zugrunde liegenden Gedanken widerspricht. microbag ist keine Outdoor-Tasche für alle Lebenslagen. Das war zeitweise ein großes Problem während unserer Überlegungen. Kann man das machen? Letztlich gewann hier aber auch wieder der Gedanke an Bekleidung die Oberhand. Die ist auch nicht unbedingt wasserdicht. Eine Allwetter-Tasche war nicht das Ziel und hätte hier den selbst gesetzten Rahmen und die Verfahrens-Möglichkeiten gesprengt. Wie oft setze ich meine Tasche tatsächlich dem Regen aus? Man betrachte nur die ganzen Damen-Handtaschen; und es gibt ja Schirme …

Colin Schulz: Der Taschenentwurf spiegelt stark Ihre persönlichen Neigungen und Ansprüche. Haben Sie beobachtet, wie andere Leute mit den Taschen umgehen?

Jörg Gätjens: Sehr selbstverständlich und tatsächlich eher wie mit Bekleidung. Auch die Leichtigkeit wird positiv hervorgehoben. Vor allem findet sie bei Männern und Frauen Resonanz. Unisex ist ja nicht so einfach im Taschenbereich …

Colin Schulz: Wie sehen Sie die Zukunft von microbag? Wird es eine kleine Serie unterschiedlichster Taschen geben?

Jörg Gätjens: Ich hoffe es. Unterschiedliche Größen sind denkbar, auch verschiedene Accessoires. Auch lässt sich die Farbpalette sicher noch ausdehnen. In jedem Fall könnte ich mir vorstellen, das Formstricken weiter zu thematisieren, vielleicht die hier gefundene Formsprache zu verlassen und weitere Konzepte auszuloten. Das Verfahren scheint mir noch viele Möglichkeiten zu bieten.

Colin Schulz: Gibt es noch etwas, was Sie besonders gefreut hat bei diesem Projekt?

Jörg Gätjens: Ja – mich freut, dass wir dieses Projekt sehr regional und direkt umgesetzt haben. Das gesetzte Ziel war die Einfachheit, das wurde auch konsequent durchgezogen. Die Komponenten der Tasche werden an nur zwei (!) Orten produziert und vor Ort zusammengeführt. Die Strickarbeiten werden von einer darauf spezialisierten Firma ausgeführt, während die eher „traditionellen“ Lederarbeiten von colin´s direkt stammen. Wir sind schon ein bisschen stolz auf die Tatsache: made in Germany.

Lesetipp: die Entstehungsgeschichte der microbags.